Erste Töne aus dem Top-Album der Sendung No.111 von Radio Weltklang aus dem Hause bureau b wirken schon fast harmlos, gegenüber dem was das Album insgesamt zu bieten hat. Zu gerne hätte ich während des Abspielens in die Synapsenströme meiner Hörer gehorcht, das Klickern und Rauschen von Informationen auf der Suche nach Erkenntnis belauscht.
Denn das kann DIE WILDE JAGD hervorragend: Das Hirn auf die Suche schicken. Etwa wenn sie wie bei „Austerlitz“ eine fantastische Mischung aus Folkanklängen, Elektro und Pop hinlegen. Welche Folkband hätte wohl so einen Sound fabriziert, wäre vielleicht diesen Schritt gegangen.
Noch genialer wird das Ganze, wenn die beiden Protagonisten von DIE WILDE JAGD den Weg zur Sprache finden. Aber dazu später.
Trans-Düsseldorf-Express „Berlin“
Dem Pressetext vorweggestellt sind Begriffe wie Neo-Krautrock, Electronica und Synthiepop, die man allesamt so unterschreiben mag. Aber Worte sind nur Hülsen, wenn sie nicht mit Leben gefüllt werden. Genau das aber schaffen RALF BECKER und SEBASTIAN LEE PHILIPP alias DIE WILDE JAGD in zuweilen atemberaubender Form.
Getroffen haben sich RALF BECKER und SEBASTIAN LEE PHILIPP 2006 im sogenannten Düsseldorfer Salon des Amateurs, ein Treffpunkt experimentierfreudiger junger Musiker. Doch Düsseldorf als Gründungsort hat viel tiefere Spuren hinterlassen. Von der sogenannten Düsseldorfer-Schule, aus deren nachwirkenden Sphärenklängen, schöpfen DIE WILDE JAGD in vollen Zügen. NEU!, NeuSchnee, Kraftwerk für die eine Seite, DAF, Pyrolator oder die Krupps auf der anderen. Und doch geht das Ergebnis weit darüber hinaus.
Titel wie „Wah Wah Wallenstein“, „Austerlitz“ oder „Der Elektrische Reiter“ wecken für sich genommen schon reichlich schlafende Hunde. Aber in Kombination mit dem in ihnen befindlichen Tönen kommen sie schon fast einer Hommage nah.
Die Geister die ich rief…
Atmosphärisch möchte man diesen wilden Jägern an vielen Stellen nicht in die Quere kommen, wenn sie im Schutz der Rauhnächte ihr Werk vorbereiten. Ihnen nimmt man ab, dass sie durch die Dezembernächte streifen. Bevor sie dann Anfang Januar auf DIE WILDE JAGD gehen, sich ins Geisterreich wenden um sich mit den Seelen längst verstorbener zu vereinen. Diese Düsternis hätte ohne Frage im Soundtrack zum Film [movieplot-database] „Das finstere Tal“ [Trailer] Platz finden können. Wie der Glanz weiß erleuchteter Dezembernächte, so schön ist die bittersüße Dunkelheit von DIE WILDE JAGD.
Damit sind wir auch schon beim Grundton DER WILDEN JAGD. Erinnerungen an die Neo-Folk-Szene werden geweckt. Selbst Industrial- und Drone-Music schwingen mit. Genau hier beginnt auch das Neuland, hier entstehen die ganz eigenen Stränge.
Und immer wieder die Suche nach Quellen, etwa wenn es in der „Jagd auf den Hirsch“ klingt als seien THE KNIFE unter den Treibern.
… von dunklen Stämmen fest gestützt
Je länger wir DER WILDEN JAGD zuhören, um so tiefer ist das wohligen Dunkel um uns.
Dann plötzlich ertönt „Durch dunkle Tannen“:
Nur ein kleiner Auszug aus den fantastischen Texten. Und wer glaubt, hier sei man lediglich einer wirren Textentstehungsformel gefolgt, wie sie unter anderem David Bowie verwendet, sollte vorsichtig sein. Denn vieles in den Texten hat Hand und Fuß. Geschichten, Mythen samt Sitten und Bräuchen haben hier ihre Spuren hinterlassen.
Geräuschkulissen wie wir sie aus dem Klangarchiv von Cold Meat Industry erinnern begrüßen uns. Nach nur wenigen Sekunden schleichen sich pluckernde Synthieläufe ein, die dem Tonwerk eines EDGAR FRÖSE oder KLAUS SCHULZE entsprungen sein könnten, bevor der Gesang – oder besser die Erzählung – beginnt.
Auch hier treffen wir wieder eine Qualität an, die mit den ganz Großen mithalten kann. Etwa mit CARLOS PERONs „Ritter & Unholde“ mit der Stimme von PETER EHRLICH, aber auch mit den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN mit „Haus der Lüge“ und FM EINHEITs „Stein“.
Das Große Halali
Das Debüt von DIE WILDE JAGD besteht lediglich aus acht Titeln, von denen nur 3 mit Texten bestückt sind. Gerade dieser Umstand weckt noch größere Erwartungen an den Texten. Ein sprachlicher Sog, wie ihn „Durch dunkle Tannen“ offenbart, wird sogleich zur Referenz.
„Morgenrot“ erfüllt, wie im übrigen auch „Der Meister“, die geweckten Erwartungen. Auch wenn beide Songs einen ganz anderen Weg gehen. Auf einen längeren instrumentalen Einstieg aus Elektrosounds und Akustikgitarre folgen Passagen, die vom Text und der Art der Darbietung auch einem NILS KOPPRUCH (Fink) hätten entspringen können. (Auszug)
Alles in allem ein Album mit Geschichte, Kraft und Charakter, das man nicht oft genug auflegen kann. Ernst genommen kann DIE WILDE JAGD Einladung und Antrieb zugleich sein, sich auf Spurensuche zu begeben, um so unausweichliches Mitglied der nächsten Jagd zu werden.
*) Alle Hintergundbilder sind entnommen: „Wild Chase“ by Franz von Stuck (1889) and „Wild Hunt“ legend
– Sagen AT – Die Wilde Jagd auf Sagen.AT
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