Die allermeisten Scheiben oder Downloads, die mir ins Haus kommen, bedürfen einer Art Einarbeitung, bevor sie den Weg in meine Sendung oder gar auf diese Seite finden. Andere, und das ist sehr selten, begrüßen ein wie alte Bekannte.
„Primrose Green“ von RYLEY WALKER gehört klar zu letzteren. Und so viel vorweg: Es ist sein ganz großer Wurf.
Begleitet von einer bunten Mischung an Musikern, die sich aus Jazz-Freaks, Rock-Veteranen und neuen Talente der Chicagoer Musikszenen zusammenfügt, fängt hier schon das Übermaß an. Denn so vielfältig die Wurzeln der Mitspieler, so ideenreich sind die Einstiege und Verläufe der einzelnen Songs. „Summer Dress“ etwa. Ein Jazz-Vibraphone-Intro auf dem die Solo-Gitarre Garcia’artige Improvisationen aufsetzt und fantastische Jazz-Drums à la Brubeck mit kongenialer Kontrabass Begleitung jegliche Sicherung raus haut. Da geht nur die Repeat-Funktion!
Überhaupt beeindruckt die Selbstverständlichkeit, diese völlige Gelassenheit der einzelnen Tracks. Total unaufgeregt kommen die feinsten Songs mit komplexesten Spielformen um die Ecke. Irgendwie cool, möchte man meinen, und doch voller Gefühl. Allein über das Zusammenspiel von Band und WALKER ließe sich hier noch seitenlang schwärmen.
Wäre da nicht noch RYLEY WALKERs Gesang. Was für eine Stimme. Zum Glück darf ich in diesem Zusammenhang einen Namen gesichert ins Rennen schicken, den er selbst als einen seiner Favoriten im Interview nennt: Tim Buckley. Es scheint, als habe WALKER ihm sehr genau zugehört, ist sein Sound an vielen Stellen doch glatt eine moderne, druckvollere Variation. Als ich erstmals diese Verbindung in mir anschlug, glimmte im nächsten Track gleich noch ein wenig von Van Morrison’s „Astral Weeks“ (siehe Cover) auf, bevor auch dieser wieder im Nebel der Erinnerungen vom weiblichen Gegenpart Sandy Denny (Fairport Convention) abgelöst wurde.
Damit ist klar: Mit RYLEY WALKERs „Primrose Green“ liegt ein ganzes Musiklexikon vor, für diejenigen die hier einsteigen wollen. Der Bogen spannt sich, wie schon angedeutet, vom Jazz über Songwriting, Psychedelic-Rock bis hin zur Fingerpicking Kunst.
Der Name des Albums, „Primrose Green“, scheint dabei mit bedacht gewählt. „Primrose Green“ ist demnach am Mississippi die Bezeichnung für einen Cocktail, bestehend aus Whiskey und den Samen der Trichterwinde, dessen Genuss Absinth’artige Effekte auslöst. Nur, dass uns beim Genuss des gleichnamigen Albums der desaströs-depressive Kater am Morgen danach erspart bleibt. Bis auf die Sehnsucht, den Moment des höchsten Glücks gleich wiederholen zu wollen, vielleicht.