Ende der 60er Jahre fand in den USA eine regelrechte Rückbesinnung auf die Anfänge der Arbeiterlieder und zarten Sprösslinge der Bürgerrechtsbewegung statt. Ausgelöst, nicht etwa von Bob Dylan, sondern von Harry Smith. Dem damals jungen Mann, der im Krieg alle Ressourcen zusammengekratzt hat, um alte Schellackplatten vor der militärischen Wiederverwertung zu retten. Seine Sammlung reichte schließlich zurück bis in die 20er Jahre des letzten Jahrtausends.Bob Dylan war nur der kongeniale Rezitator, der die Songs wie aus seiner Hand erscheinen ließ. Wer sich heute mit den Wurzeln so mancher seiner Scheiben beschäftigt, wird sich wundern.
Schon seit einiger Zeit kann ähnliches beobachtet werden. Zwar werden nicht unbedingt alte Scheiben aufgegriffen und offensichtlich Thematisiert. Aber immer mehr Künstler versuchen einen eigenen Weg zu finden, ohne die Geschichte außen vor zu lassen. Zu allererst zeigt sich das in der Instrumentierung. Handmade ist wieder angesagt. Banjo, Gitarre und Geige werden vom Kontrabass und Akkordeon begleitet. So weht ein Hauch Geschichte durch den Sound.
Die EAST CAMERON FOLKCOREs gehen allerdings doch noch den einen Schritt weiter. Sie greifen alte Bilder der Bürgerrechtsbewegung auf, spielen alte Radio- oder TV-Übertragungen ein, um uns zu erinnern. Oder sind das gar keine alten Einspielungen?
Genau hier glänzen die EAST CAMERON FOLKCOREs. Sie schneiden nebeneinander, sie zitieren aus dem Hier-und-Jetzt wie aus der Vergangenheit, um uns die Absurdität unserer Zeit aufzuzeigen. Denn selten hat sich die Menschheit, und schon gar nicht die sogenannte zivilisierte Welt, in einem solchen rückwärts gewandten Strudel befunden.
Ihr Album „For Sale“ ist Zeitreise, Mahnung und Aufruf zugleich.
Wer sich die Mühe macht und nach Live-Fotos Ausschau hält, der sieht mitunter eine Band, die im Selbstbildnis an Malocherbilder bzw. Wanderarbeiterfotos der frühen Tage Amerikas anknüpft. Und wer die alten von Guthrie oder Dylan zitierten Geschichten kennt, der weiß von deren Wut über ein korruptes Umfeld und verlogene Banker. Den Frust lassen sie nach ihrer scheiß Arbeit raus, in dem sie ihn gelegentlich in ihren Liedern aus sich heraus brüllen.
Klingt das ein oder andere Stück auf „For Sale“ vielleicht noch wie ein leicht verunglücktes Folklorum, sind es die harten Songs mit denen EAST CAMERON FOLKCORE tatsächlich zu überzeugen wissen. Und je genauer man hinhört, desto mehr Mitspieler stehen auf der Bühne. Fast wird es zur Geisterbahn, in der Shane MacGowan neben Mike Scott steht und beide sich im Geiste zu den ECFs hinzugesellen. Sogar die junge Natalie Merchant lässt sich ausmachen, allerdings verhaftet in den Zeiten der 10.000 Maniacs.
All das als Vorboten für eine Auferstehung der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zu verstehen, oder zumindest unter Wiederbelebung des all zu oft gepriesenen amerikanischen Demokratieverständnisses zu buchen, ist sicherlich zu hoch gegriffen. Schließlich hatte man schon in Obama den großen Erwecker gesehen, dem man den Gang über Wasser zutraute. Eine Art inverser Rassismus, so könnte man das nennen.
Nein. Aber Hoffnung gibt einem schon, das es noch Menschen gibt, die mit offenen Augen und dem Herz auf der Zunge durch die Welt ziehen. Danke, EAST CAMERON FOLKCORE.
P.S.: Hier geht’s zur Konzertbesprechung und zum Interview.