ZINNSCHAUER
– IN BILD & TON
Dem Zuschauer bleiben Teile von Zinnschauer im ersten Moment verborgen, wenn JAKOB AMR mit seiner Gitarre die Bühne betritt. Das ist schon allein Aufmerksamkeit erregend, da seine Auftritte nicht selten im Umfeld weiterer Bands stattfinden, und das Auftauchen einer Akustikgitarre in der Regel immer noch mit Singer- /Songwriting in Verbindung gebracht wird. Diese Vorstellung wird aber im ersten Moment zerlegt, wenn JAKOB AMR in die Saiten greift. Filigran, schnell und präzise fegen die Finger über den Hals und reißen oder schlagen die Saiten in bisweilen atemberaubender Art.
Spätestens aber wenn er in den Gesang einsteigt, haut es einen um. Zeilen werden mal kaum verständlich geflüstert um im nächsten Moment geschrien zu werden. Live! Screamo-Folkrock nennen es die einen, Prog-Folk mit Metall Allüren die anderen. ZINNSCHAUER selbst nennen es Märchenemo. Und wenn die INTRO diese Musik einem Publikum aus „poetische(n) Mathematikerinnen und Hesse-Leser(n)“ zuschreibt, ist auch das eine sicher nicht von der Hand zu weisende Verbindung, die weitere Begrifflichkeiten wie „Death / Folk / Prätentiös“ (INTRO) locker aushält.
Für mich ist es tatsächlich die erste Begegnung mit deutschsprachigem Prog-Rock im Akustikgewand.
ZINNSCHAUER
– MEHR ALS JAKOB AMR
Die musikalischen Grundlagen von ZINNSCHAUER ruhen aber eigentlich auf mindestens drei Schultern. Im Scheinwerferlicht steht JAKOB AMR, am Mischer mit Stimme SJARD FITTER, und schließlich am Licht mit Stimme JONATAN LUX.
Während JAKOB für Komposition und Spiel zuständig ist, trägt SJARD FITTERs Affinität zum Theater, seine Erfahrung mit der Organisation und Gestaltung von Konzerten an ungewöhnlichen Orten, sicher zur Dramaturgie der daraus entstehenden Auftritte bei. All das in ein entsprechendes Licht zu rücken ist dann JONATAN LUX zu verdanken. Ein Licht, das vor allem deshalb so passend ist, weil er zuerst nur Tourbegleiter und Merchandiser war, und so die Anfänge von außen betrachten konnte.
Dieses Wissen hilft, wenn man ZINNSCHAUER hört, um sich ein livehaftiges Bild davon zu machen. Da tauchen die zusätzlichen Stimmen eben nicht auf der Bühne auf, sondern kommen aus dem hintersten Raum der Konzertlocation. Oder mitten im Publikum tauchen Antwortende oder eben eine Geigerin auf. Dann sind wir mitten in einer weiteren Besonderheit von ZINNSCHAUER.
ZINNSCHAUER zerlegen das gewohnte Erlebnis Konzert in seine Bestandteile. Wenn etwa JAKOB AMR im nächsten Moment im Publikum steht, werden die Grenzen zwischen zuschauen und mitmachen aufgebrochen, Distanzen aufgelöst. Durch die ungewohnten Gesangserweiterungen entstehnt so ein ganz eigenes Surround-Erlebnis.
ZINNSCHAUER – Hunger.Stille
Vor knapp drei Jahren erschien das erste Ergebnis von ZINNSCHAUER als pay-what-you-want Downlaod: „Kalter Blick, scharfer Zahn“. Dann kamen Kapitän Platte aus Bielefeld ins Spiel, und das 20-minütige „Ich bin deine wachsende Arme“ landete als Seite auf dem Split-Vinyl mit THE HIRSCH EFFEKT.
Mit „Hunger.Stille“ liegt der erste eigenständige Longplayer vor. Voll gepackt mit Innenansichten, Beziehungsspiegelungen und sezierenden Blicken auf uns, bleiben ZINNSCHAUER ihrem Stil treu. Sie selbst nennen es irrationale Gefühlsausbrüche, was wir hier zu hören bekommen. Es schlittert durch die Zeit und versucht dabei immer mindestens zwei Seiten, Versionen oder Möglichkeiten zu bieten.
Hier schließt sich auch der Kreis. Wenn es uns überlassen wird ob Ende Anfang ist.
Sprache und Text auf „Hunger.Stille“ holen den Link zu Hesse wieder hervor. In alten Tagen gab es ANYONES DAUGHTER mit Hesses „Piktors Vewandlung“, was so etwas wie die Ursuppe dessen sein könnte, was wir heute modern gefasst von JAKOB, SJARD und JONATHAN zu hören bekommen.
Sicher, wenn man die Kritiken im Netz durchstöbert: polarisierend. Aber auch: genial, und ohne Frage emotional!