Nachdem ich ihr aktuelles Album „Messias Maschine“ kennengelernt hatte, war ich neugierig auf Hintergründe zu Sankt Otten. Also schrieb ich sie kurzerhand an, um ein Internetinterview zu arrangieren. Da aber einige Auftritte anstanden, verständigten wir uns auf eine Art Ferninterview. Eine Liste mit Fragen machte sich auf die Reise nach Osnabrück, und eine Audiodatei fand den Weg zurück. Somit kann ich euch an dieser Stelle ein umfassenden Interview mit Stephan Otten liefern.
Wer steckt hinter „Sankt Otten“?
Sankt Otten wurde von mir 1998, ursprünglich als Solo-Projekt, gegründet. Nach einiger Zeit kam Karsten Sandkämper hinzu, der damals Gitarre spielte und auch noch gesungen hat. Sprich: Das erste Album und die erste EP aus dem Jahre 99 und 2000 waren noch mit deutschsprachigem Gesang. Karsten hat mich dann in 2001 verlassen, und ab 2002 etwa betreibe ich das Projekt mit meinem hoch geschätzten Partner Oliver Klemm.
Wie kam es zu dieser christlichen Annotation in der Namensgebung?
Die Namensgebunt zu Sankt Otten ist im Prinzip ganz einfach zu erklären. Es ist einfach nur mein Vor- und Hausname, wobie mein Vorname einfach als St. abgekürzt ist. Irgendjemand fragte mal „heißt das Sankt?“, und im laufe der Jahre ist dann dieses St. in ein ausgeschriebenes Sankt mutiert.
Kannst du etwas zu deinem Werdegang sagen?
Als ich zur Jahrtausendwende Sankt Otten als mein Solo-Projekt gestartet habe, hatte ich zuvor schon in diversen Noise-Rock und New Wave-Bands getrommelt. Damals ging es damit los, dass man mit einfachen technischen Mitteln zu Hause am Computer Musik aufnehmen konnte. Ich hab’s dann einfach mal selbst ausprobiert, und der Erfolg war relativ schnell da. Man konnte mit kostengünstigen Mitteln wirklich gut klingende Produktionen hin bekommen. Daraus ist dann irgendwie Sankt Otten geworden.
Später, wie gesagt, kam der Karsten dazu, mit deutschsprachigem Gesang. Dann der Oliver. Ich sag mal, mit Anfang der 2000er Jahre waren wir musikalisch mehr in Richtung Post-Rock unterwegs. Zusammen mit vielen klassischen Samples, die wir selbst gebaut hatten.
Seit den letzten drei, vier Alben konzentrieren wir uns mehr auf elektronische, rein elektronische Musik. Natürlich noch mit Olis Gitarre dabei. Wir sind hierbei auch so ein bischen beeinflusst von Deutscher, klassischer elektronischer Musik. Das kann man glaube ich auch sehr gut auf den letzten drei Alben hören, die wir herausgebracht haben.
Liegen den Alben tatsächliche Themen zugrunde, oder geht es dir wie vielen Malern, die Namen nur des Publikums wegen hinzu fügen?
Also, zu sagen wir würden Konzeptalben herausbringen, wäre wohl glaube ich etwas vermessen. Generell ist es aber schon so, das wir ein Album als geschlossenes Konzept sehen, und somit auch musikalisch in eine Richtung zu formen. Wir haben zum Beispiel das vorletzte Album „Sequenzer Liebe“ so gemacht, dass in fast allen Songtiteln auch elektronische Sequenzer enthalten sind. Das heißt, wir haben Melodiefolgen auf dem Computer programmiert, die Basis fast jeden Songs sind.
Davor lag das Album „Gottes Synthesizer“. Unser erstes fast ausschließlich elektronisches Album.
Im aktuellen Album gibt es gleich mehrere Gastmusiker. Wie kam es zu den unterschiedlichen Kombinationen?
Also auf die Idee, generell etwas mit Gästen auf dem neuen Album „Messias Maschine“ zu machen, kamen wir, als wir im letzten Jahr auf dem „electronic circus“– Festival in Gütersloh gespielt haben. Dort spielten wir eine Cover-Version von Harald Grosskopfs Titel „So weit, so gut“, und Harald war zufällig an diesem Abend da. Das Album „Synthesist“ von Harald Grosskopf, auf dem dieser Titel zu finden ist, zählt zu meinen persönlichen Top Ten Alben.
Im Anschluss an die Show kamen wir dann ins Gespräch und haben uns gut verstanden. Irdendwie ist daraus die Idee entstanden, vielleicht mal etwas zusammen aufzunehmen.
Das war die Initialzündung später auch andere Musiker noch anzusprechen. Wir haben dann zu jedem Titel, bis auf einen einzigen, einen Musiker angesprochen, der uns ein Instrument zu unseren vorproduzierten Songs hinzugefügt hat.
Bei der Auswahl der Künster kann man schon sagen, das wir persönlich auch Fans von allen Musikern sind, die auf der Platte mitgespielt haben. Zum Beispiel Christoph Clöser, ein unglaublicher Saxophonist der deutschen Band Bohren und der Club of Gore. Dann haben wir zum Beispiel den Ulrich Schnauss gewinnen können. Ein ganz toller deutscher Elektronikmusiker, der mittlerweile in London lebt. Dann Jaki Liebezeit, unglaublicher Schlagzeuger. Harald Großkopf. Hinzu kam noch Tony Paterra, Schlagzeuger der Band Majeure und Zombie, wie noch ein paar weitere Gäste.
Musikalisch wollten wir uns nicht in eine Richtung festlegen. Deswegen auch Vertreter moderner elektronischer Musik, oder eben Bohren und der Club of Gore, die ja völlig raus fallen. Aber sie liegen uns von ihrer Stimmung her. Und eben auch Vertreter klassische deutscher Rock- und Elektronikmusik, siehe Harald und Jaki Liebezeit natürlich. Ich denke, damit haben wir eine ganz schöne und bunte Mischung hin gekriegt.
Wie arbeitest du in solchen fällen? Schickt ihr euch die Aufnahmen zu, und komplettiert die Arbeit an unterschiedlichen Orten? Oder basiert das Ergebnis tatsächlich auf Begegnungen vor Ort?
Die Arbeitsweise zu den unterschiedlichen Titeln war relativ unterschiedlich. Wir hatten teilweise den Fall Titel komplett vorproduziert zu haben, die wir dann den Leuten zuschickten. So geschehen im Fall des amerkanischen Schlagzeugers Tony Paterra. Ihm haben wir einen Titel zugesandt, und er hat uns etwas draufgetrommelt. Hier wäre es natürlich etwas schwierig gewesen, ihn in Amerika zu besuchen.
Aber in einigen Fällen haben wir die Leute auch persönlich besucht. Sprich, den Harald Grosskopf haben wir in seinem Studio besucht, und er hat uns etwas eingetrommelt. Wir haben zusammen auch noch etwas an dem Song herum gearbeitet und ihn verfeinert.
Besonders stolz sind wir auf die Zusammenarbeit mit Jaki Liebezeit. Den haben wir in seinem Proberaum und Studio in Köln besucht. Der hat uns da innerhalb von vier Stunden sage und schreibe vier Songs eingetrommelt. Das war natürlich schon eine unglaubliche Erfahrung, mit so einer Legende etwas aufzunehmen.
War die Arbeit mit Liebezeit oder Grosskopf etwas Besonderes, oder eher Alltag für Sankt Otten?
Ja, speziell die Aufnahmen mit Jaki Liebezeit ware natürlich etwas ganz Besonderes. Wir haben uns zuvor schon Wochen lang wie die kleinen Kinder darauf gefreut, ihn in Köln zu besuchen. Liebezeit hat dann unglaublich toll und schnell etwas zu unseren Songs eingetrommelt. Ich finde es passt ganz hervorragend dazu. Da kann man wirklich glücklich sein, so eine Legende auf seiner eigenen Platte zu haben.
Auf eurer Facebook Seite sieht man euch mit einem historischen Synthie, der im Bestand der UNI Osnabrück ist. Einem EMS SYNTHI 200. Kommt der auf der aktuellen Scheibe zum Einsatz?
Leider nicht. Wir haben das gute Stück erst einmal nur genutzt, um sehr schöne neue Pressefotos zu machen. Beim Termin haben wir auch versucht, dem Monstersynthie ein paar Töne zu entlocken. Aber es ist unglaublich schwer. Nur Professor Enders der Universität Osnabrück beherrscht das Gerät noch richtig. Der EMS ist noch wirklich Synthesizer, von Grund auf zu lernen. Hier wirklich klare Töne bzw. auch richtige Musik heraus zu bekommen, ist schon extrem schwierig. Aber uns wurde versprochen, das wir demnächst noch mal an das Gerät können. Dann versuchen wir vielleicht mal etwas in unser nächstes Album einzubauen.
Und wenn wir schon dabei sind. Es lässt sich ja so ziemlich alles auf den neuen Pads und Phones reproduzieren. Man denke nur an das Moog-App bei Apple. Würdest du sagen, es klingt dennoch anders, die original Maschine laufen zu lassen?
Also wir müssen zu unserer Schande auch gestehen, das wir einen Großteil unserer Sounds mit virtuellen Synthesizern am Computer erstellen. Uns fehlt einach das nötige Vermögen (lacht!), um uns einen riesen Fundus an alten analogen Synthesizern aufzubauen. Es ist natürlich auch sehr viel einfacher mit diesen virtuellen Synthesizern zu arbeiten.
Ich sag mal, der Schritt jetzt etwas auf einem iPhone oder iPad zu produzieren, wäre dann für mich doch ein Schritt zurück. Das möchte ich mir dann auch nicht mehr an tun.
Generell ist es natürlich schon ein riesen Unteschied, ob man nun am Computer schraubt oder an den original Geräten. Wer jemals an einen wunderbaren Mini-Moog herumgeschraubt oder ein Modularsystem bedient hat…Das ist natürlich schon ein Unterschied, ob man da die Kabel und die Drehregler in der Hand hat, oder einfach nur auf seinem iPad ’n paar Fettfinger hinterläßt.
Kannst du von den Arbeiten als Sankt Otten leben, oder ist das nur ein Job unter vielen?
Leider überhaupt garnicht. Wir beide gehen einem ganz geregelten Job nach. Beim Oli kann man sagen, dass er von seiner Musik leben kann. Er betreibt mit einigen Freunden zusammen eine Musikschule und gibt Gitarrenunterricht. Zusätzlich wird er auch als Studio- und Live-Gitarrist gebucht. Etwa bei Philllip Boa.
Dadurch kann er sich halbwegs über Wasser halten, und ich gehe einem ganz seriösen anderen Job nach.
Digitaler Vertrieb und CD: Wie ist da die Gewichtung?
Also ich würde einschätzen, das bei uns – wenn man sich die Verkaufszahlen anschaut – tatsächlich noch 2/3 physische Tonträger gekauft werden. Es gibt natürlich mittlerweile speziell die jüngeren Leute, die sich gerne die MP3 herunter laden. Aber bei unserem Label Denovali ist es so: Die legen Wert auf tollte Verpackungen, Special und Sonderausgaben in farbigem Vinyl zum Beispiel. Und das wird dann von den Hörern auch gerne gekauft.
Sankt Otten gibt es auch auf Vinyl. Wie ist da in diesen Zeiten die Resonanz? Merkt ihr den Vinyl-Hype?
Unser Label Denovali verkauft traditionell sehr viel Vinyl. Es gibt Künstler die sogar mehr Schallplatten als CDs verkaufen. Bei uns sind die CDs noch in der Überzahl. Viele Hörer kaufen sich auch unsere Vinyl Version, da hier die Downloadcodes mit dabei sind. Sprich: man lädt sich das Album einfach runter auf den MP3-Player oder fürs Autoradio. Hört sich die Sachen dann so an, und das Vinyl wird einfach ins Regal gestellt und geschont.
Welchem Medium würdest du den Vorzug geben, und welche Erscheinungsform der eigenen Produkte würdest du dem interessierten Hörer ans Herz legen?
Da natürlich ganz klar das Vinyl. Speziell bei unseren letzten drei Covern haben wir ganz tolle Artworks vom spanischen Maler Salustiano Garcia Cruz mit auf den Schallplatten. Gerade die Album-Cover wirken ganz anders, wenn man sie als großes Klappcover hat. Bei einer CD geht das leider so ein bisschen unter, und beim Download dann gänzlich.
So etwas dann selbst im Regal zu haben…
Werden FanArt und Cover von euch selbst gestaltet?
Wie eben schon erwähnt arbeiten wir zur Gestaltung unserer Alben mit Salustiano zusammen. Unser Label legt sehr großen Wert auf gut aussehende Cover. Es gibt Hörer, wie mir vom Label versichert wurde, die kaufen jede Veröffentlichung des Labels. Egal welcher Künstler es ist. Weil sie sicher sind, die Qualität der Musik ist gut, sie erhalten ein top Artwork und das ganze Drumherum stimmt einfach.
Nachdem wir länger nicht mehr aufgetreten sind, haben wir jetzt gerade, gemeinsam mit unserem Labelkollegen Greg Haines, einige Termine in Deutschland und Belgien gemacht.
Ich trete zusammen mit Oli auf, d.h. wir setzen das so um, das ich Schlagzeug spiele. Hier und da ein paar Tasten. Während Oli hauptsächlich Gitarre spielt, aber auch Keyboards. Ein Großteil der Sounds kommt dann vom Computer, da die umfangreichen Produktionen sich sonst nur schwierig live umsetzen lassen.
Was hat es mit dem „Denovali Swingfest 2013“ auf sich?
Beim „Denovali Swingfest“ handelt es sich um eine Veranstaltung, die einmal im Jahr von unserem Label veranstaltet wird. Der Titel Swingfest ist vielleicht etwas irreführend, denn es hat natürlich wenig mit Swing zu tun. Bei diesem Festival werden hauptsächlich Acts des Labels präsentiert. Auch wir spielen in diesem Jahr dort. Pro Veranstaltungstag, der so gegen 14 beginnt, spielen in etwa 6 Bands.
Die Stimmung bei diesem Festival, finde ich, ist immer etwas ganz Besonderes. Hier reisen Hörer aus ganz Europa an. So kamen im letzten Jahr Hörer aus Russland, Griechenland und Israel. Sogar aus Amerika reiste jemand an. Die Leute hören sich wirklich alle Acts an, die dort spielen. Ganz gleich ob es irgendein Metall Act, eine Hardcore Band, irgendwelche ruhigen Synthigeschichten oder akustische klassische Pianisten sind. Die Leute kommen einfach um gute Musik zu hören.
Statt findet das Festival in der Zeit vom 4. bis zum 6.Oktober in Essen in der Weststadthalle.
Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?
Bis zum Jahresende folgen noch einige Konzerte. Ich denke, dann werden wir uns so langsam wieder auf die Produktion neuer Songs stürzen. Wie im letzten Jahr werden wir uns dazu wieder ein kleines Häuschen, an der Nordsee vielleicht, mieten. Keine Ahnung was dabei herauskommen wird. Aber wir haben uns schon gesagt, das es etwas ganz Neues werden soll. Vielleicht sogar musikalisch in eine komplett andere Richtung.
Allen Hörern von Radio Weltklang wird zudem der O-Ton in einer der nächsten Sendungen geliefert.